Ich sehe keinen Grexit

Antworten zu den neusten Entwicklungen der Wirtschaft mit Anlagechef Mario Geniale.

Die Lage in Griechenland bleibt angespannt. Vielerorts wird die Wahrscheinlichkeit eines Grexit-Szenarios bei mehr als 50% gesehen. Wie beurteilen Sie die Situation?

Ich sehe keinen Grexit, sondern eine Umschuldung, einen Schuldenschnitt oder eine andere Lösung. Ein Ausstieg Griechenlands als Präzedenzfall hätte eine äusserst destabilisierende Wirkung auf die EU und wäre konträr zur Integrationsidee. Die Politik wird deshalb den Grexit verhindern. Die Volatilität an den Märkten ist immer noch sehr niedrig. Auch die Märkte halten den Grexit also für unwahrscheinlich.

 

Schon heute ist der Schweizer Franken rund 20 Prozent überbewertet. Was würde denn ein Grexit für die Schweiz bedeuten?

Bei einem Grexit müssten wir mit der nächsten starken Aufwertungswelle beim Schweizer Franken rechnen. Das hätte unmittelbare Konsequenzen für die Schweiz. Die Börsenkurse würden sofort nach unten korrigieren, auch wenn die volkswirtschaftlichen Konsequenzen erst mit etwas Verzögerung eintreten würden. Die Unsicherheit und damit die Verwerfungen an den Märkten wären enorm.

 

Im kommenden Sommer werden sehr grosse Schuldentranchen Griechenlands fällig. Soll ich mich als risikoaverser Anleger also an die Börsenregel halten "Sell in May and go away"?

Nein. Ich bin sicher, dass für Griechenland eine Lösung gefunden wird. Unabhängig davon gehen wir davon aus, dass sich die Aktienmärkte bis in den Sommer seitwärts bewegen werden. Erst im Juli/August werden wir in den Halbjahresergebnissen die Konsequenzen des überbewerteten Schweizer Franken bei den kleineren und mittleren Schweizer Unternehmen sehen. Umgekehrt werden wir bei den europäischen Unternehmen positive Zahlen sehen, die durch das Kaufprogramm der EZB und den tiefen EUR-Kurs ausgelöst werden. Dann werden die Börsen reagieren. Während wir bei den Schweizer Aktien deshalb eher zurückhalten sind, ist unsere Grundhaltung positiv, was europäische Aktien betrifft. Das Wechselkursrisiko gegenüber dem Euro können Schweizer Anleger, die sich vor dem Risiko eines Grexit schützen wollen, durch Termingeschäfte absichern. Die Kosten in Höhe der Zinsdifferenz sind zu verkraften.