Luca Carrozzo, Chief Investment Officer der Bank CIC im Interview zur aktuellen Marktlage

Seit dem 1. Januar 2023 ist Luca Carrozzo der neue Chief Investment Officer der Bank CIC und somit für die Anlagestrategie verantwortlich. Zeit mit ihm einen Blick auf die Märkte zu werfen.

Die ersten beiden Quartale brachten mehrere negative News. Inflationsangst, Zinserhöhungen und ein Zusammenschluss der zwei grössten Schweizer Banken. Wie sehen Sie die Entwicklung in naher Zukunft? Werden sich die Märkte beruhigen können?

Das Börsenjahr 2023 entwickelt sich bisher gut. Das überrascht vor allem, weil die obengenannten Punkte eher negativ sein sollten für die Finanzmärkte. Doch die Börse zeigt sich einmal mehr resistent. Zwar führte vor allem der Crash der amerikanischen Kleinbanken zu einer Nervosität an den Märkten aber die zwischenzeitlichen Kurseinbrüche konnten aufgeholt werden.

Wie hoch sehen Sie die Wahrscheinlichkeit für einen grösseren Börsencrash?

Wenn wir in der Geschichte zurückschauen, gab immer wieder Zeiten von erhöhter Volatilität an den Aktienmärkten. Minus 30% gab es im Zehn-Jahres Takt immer wieder. Die Kadenz hat in den letzten 30 Jahren zugenommen, gleichzeitig erholt sich der Aktienmarkt allerdings auch immer wieder relativ schnell.

 

Grundsätzlich bestätigt sich der Langzeittrend, dass es nach oben geht – mit mehr Unruhen, aber es geht nach oben.

Wie schätzen Sie die Entwicklung der Anlageklassen Aktien, Rohstoffe, Obligationen und Immobilien in naher Zukunft ein?

Die wichtigste Anlageklasse sind die Aktien. Die Obligationen waren lange Zeit während der Nullzinsphase, oder sogar Negativzinsphase nicht spannend. Nun weisen die Obligationen wieder eine Rendite aus und das führt dazu, dass Kleinsparerinnen und Kleinsparer oder auch Pensionskassen wieder Obligationen kaufen. Hier ist wichtig, dass man die Rendite mit der Inflation vergleicht. Mit einer Inflation in der Schweiz von momentan 1,6% und einer Gesamtrendite des Obligationenmarktes von 1,6% kompensiert man zumindest die Verluste durch die Inflation.

 

Rohstoffe sind von geopolitischen Gegebenheiten abhängig. Würde sich zum Beispiel in Taiwan die Lage verschlechtern, so würde man dies auf dem Rohstoffmarkt sofort spüren. Immobilien sind auch ein Fokus von unserer Bank. Die Nachfrage ist nach wie vor sehr gross. Es wird viel gebaut, andererseits wird das Angebot trotzdem nicht reichen, um die Nachfrage zu decken. Der Grundstock des Immobilien Schweiz Index wird solid bleiben und entsprechend ist diese Anlageklasse attraktiv.

Weshalb ist es sinnvoll, China als eigenständiger Markt vom Rest der Schwellenländer zu trennen oder umgekehrt gefragt: Weshalb sollen die Anlegerinnen und Anleger die Möglichkeit haben, China auszuschliessen?

China ist die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt. Mit 14,4 Billionen US-Dollar Bruttoinlandprodukt ist das eine enorm grosse Wirtschaftsleistung und deshalb macht es Sinn, China separat anzuschauen, so wie es Sinn macht, die USA separat anzuschauen. Es gibt einen Aspekt, welchen Anlegerinnen und Anleger in Bezug auf China beachten sollten und das ist die politische Unsicherheit des Landes. Die chinesische Politik ist für uns kein verlässlicher Partner und daher investieren wir in unseren Portfolios momentan nicht in China.

Inwiefern können Anlegerinnen und Anleger von einem Investment in Schwellenländer profitieren, zum Beispiel in Form von Obligationen?

Durch die Abschwächung des US-Dollars in den vergangenen Monaten ist diese Anlageklasse sehr interessant geworden. Die Obligationen profitieren von dieser Abschwächung. Wieso ist das so? Die Verschuldung dieser Länder ist oft in US-Dollar bewertet. Durch die Abwertung des US-Dollars wird diese Verschuldung vermindert und somit stehen die Länder besser da. Was auch für Obligationen in Schwellenländern spricht ist die relativ tiefe Inflation in diesen Ländern.  

Wie beurteilen Sie die Wichtigkeit der Diversifikation beim Anlegen?

Meiner Meinung nach gibt es zwei Hauptkriterien beim Anlegen. Das eine ist, auf Qualität zu setzen und das andere, zu diversifizieren. Mit Qualität sind gute Unternehmen, gute Sektoren gemeint. Zusammen mit der Diversifikation kann ein stetiges Wachstum erreicht werden.

Und zu guter Letzt: Werden die Zinsen noch weiter steigen oder sind sie hoch genug?

Im Jahr 2023 hatten wir sehr hohe Zinserhöhungen und zwar weltweit. Die Federal Reserve in den USA, die FED, hat die Zinsen so schnell wie noch nie erhöht. Der US-Leitzins steht bei 5,5%. Zu hohe Zinsen können für Finanzmarktakteure gefährlich werden. Jerome Powell, Vorsitzender der Federal Reserve sagte, es werde keine Zinssenkungen geben im Jahr 2023. Das muss er auch, ansonsten würde er bestätigen, dass die Wirtschaft durch die Zinserhöhungen abgewürgt wurde. Das fand ganz klar nicht statt, obwohl die Konsumentenpreise immer noch auf einem hohen Niveau sind. Ich gehe nicht davon aus, dass die Inflation wieder auf Vorkrisenniveau sinken wird, denn es ist eine strukturelle Inflation. Die Zinsen werden auf einem höheren Niveau bleiben.

 

Der Leitzins der EU liegt momentan bei 4,25%. Christine Lagarde von der EZB wird auch nur noch ein, zwei kleine Zinsschrittchen nach oben machen, obwohl sie in einem grossen Dilemma steckt: die hohe Verschuldung in der Eurozone. Die Refinanzierungskosten der verschuldeten EU-Staaten würden mit jeder weiteren Zinserhöhung noch höher.

 

In der Schweiz gehen wir etwas gegen den Trend. Der Nationalbank-Chef Thomas Jordan und sein Team achten vor allem auf drei Themen: Den Schweizer Franken, die Immobilien und die Inflation. Bei der Inflation herrscht eher ein Abwärtstrend, da müsste man eher nicht mit einer weiteren Zinserhöhung dagegen ankämpfen. Der Immobilienmarkt ist auch nicht überhitzt und der Schweizer Franken ist sehr stabil. Wir gehen deshalb momentan davon aus, dass das Zinsniveau in der Schweiz in etwa so bleibt wie es ist, nämlich bei 1,75%.